Wie wichtig ist Begeisterung im Change Management?

Gastbeitrag von | 25.03.2024

Wie begeistert man Menschen für Veränderungen? Diese Frage beschäftigt viele, wenn es um die Umsetzung von Veränderungen in Organisationen geht. Begeisterung ist die Voraussetzung dafür, dass wir uns an der Umsetzung eines Vorhabens beteiligen. So die Annahme. Doch nüchtern betrachtet ist das Streben nach Begeisterung unrealistisch und manchmal sogar hinderlich. Was es stattdessen braucht und wie Begeisterung am Ende doch entstehen kann, darum geht es in diesem Artikel.

Begeisterung ist unrealistisch

Der Wunsch, andere für die eigene Idee zu begeistern, ist aus Sicht der Initiatorinnen¹ einer Veränderung verständlich. Schließlich haben sie sich etwas überlegt und sind von ihrer Idee überzeugt. Nun geht es darum, Mitstreiter zu gewinnen. Was liegt da näher, als für die eigene Idee zu werben, andere zu begeistern und zum Mitmachen zu bewegen?

Dieser Ansatz übersieht wesentliche Eigenschaften von Organisationen. Die Mitglieder einer Organisation entscheiden sich unter bestimmten Bedingungen, einer Organisation beizutreten. Sie treffen Vereinbarungen über die Art der Tätigkeit, den Ort, die strukturelle Einbindung und vieles mehr. Eine Veränderung in der Organisation verändert zumindest potentiell auch etwas an dieser Vereinbarung. Ich muss plötzlich andere Tätigkeiten ausüben (z.B. bei Umstrukturierungen), vielleicht einer neuen Organisation angehören (z.B. bei Fusionen), anders mit meinen Kolleginnen zusammenarbeiten (z.B. bei der Einführung neuer Arbeitsmethoden).

Die Motive, sich in der Organisation zu engagieren, sind so unterschiedlich wie die Mitglieder der Organisation selbst. Es ist daher unrealistisch zu erwarten, dass sich alle oder die meisten für eine bestimmte Veränderung begeistern können. Die gute Nachricht ist: Es ist auch nicht nötig.

Begeisterung ist unnötig

Es gehört zum Alltag von Organisationen, dass sich ihre Mitglieder nicht für alles begeistern, was in ihnen zu tun ist. Sie tun es trotzdem. Weil es aus Sicht der Organisation notwendig oder sinnvoll ist. Dokumentationsaufgaben zum Beispiel empfinden die meisten von uns als lästig. Dennoch werden sie von vielen Organisationsmitgliedern (mehr oder weniger sorgfältig) erledigt, damit verschiedene Personen gemeinsam an komplexen Aufgaben arbeiten können.

Als Mitglieder einer Organisation folgen wir Menschen nicht nur individuellen Kosten-Nutzen-Betrachtungen. Sondern mindestens ebenso stark einer gemeinsamen Vorstellung davon, was die Organisation braucht, um ihre Ziele zu erreichen, und welchen Beitrag wir in unserer Rolle dazu leisten können.

Um Mitstreiter für organisationale Veränderungsprozesse zu gewinnen, muss ich also die Organisationsmitglieder davon überzeugen, dass die Veränderung für die Organisation sinnvoll ist. Und weniger, dass die Veränderung für jedes einzelne Mitglied positiv und damit begeisterungswürdig ist. Das ist ein großer Unterschied für die Kommunikation in Veränderungsprozessen.

Veränderungskommunikation gelingt besser ohne Begeisterung

Statt auf die Begeisterung jedes Einzelnen zu zielen, können sich Change-Verantwortliche darauf konzentrieren, das Warum und Wozu der Veränderung herauszuarbeiten und nachvollziehbar zu kommunizieren. Am Beispiel der Einführung eines CRM-Systems² hört sich das so an:

  • Bisher haben wir im Vertrieb sehr individuell agiert. Jeder Vertriebsmitarbeiter hatte seine eigenen Kundenkontakte, die er individuell betreute. Dadurch hatten wir eine enge Beziehung zu unseren Kunden, konnten schnell auf neue Bedürfnisse reagieren und unsere Angebote entsprechend platzieren.
  • Durch den Personalmangel und das gleichzeitige Wachstum unseres Unternehmens ist dies nicht mehr möglich. Hätte jede Vertriebsmitarbeiterin weiterhin einen festen Kundenstamm, könnten wir mit dem vorhandenen Personal nicht alle bestehenden Kunden betreuen, geschweige denn neue gewinnen. Eine deutliche Aufstockung des Personals ist bei der derzeitigen Arbeitsmarktsituation nicht realistisch.
  • Deshalb wollen wir unsere Kunden künftig flexibler betreuen. Die Mitglieder des Vertriebsteams sollen gemeinsam den gesamten Kundenpool betreuen. Dazu benötigen wir Transparenz über das jeweilige Kundenaccount, den aktuellen Stand der Kommunikation, die Historie.
  • Um diese Transparenz zu ermöglichen, führen wir ein CRM-System ein. Hier sammeln wir die relevanten Informationen und stellen sie dem gesamten Team zur Verfügung. Unsere Kunden sollen künftig erleben: Egal mit wem ich von Unternehmen X spreche, die sind immer auf dem Laufenden, kennen meine Bedürfnisse und gehen individuell auf mich ein!

Hier wird die wahre Geschichte der Veränderung erzählt. Was ist der Auslöser, was soll erreicht werden? Ohne Bewertung, ohne Begeisterungsappell. Die rationale und emotionale Bewertung des Vorhabens bleibt den Organisationsmitgliedern überlassen. Eine begeisterungsorientierte Veränderungskommunikation nimmt diesen Schritt vorweg und stellt die positiven Aspekte der Veränderung in den Vordergrund – in der Hoffnung, dass die Organisationsmitglieder diese Bewertung übernehmen.

Change Management ohne Begeisterungsrhetorik ist anspruchsvoll, aber lohnend

Diese andere Art der Veränderungskommunikation ist einfacher und schwieriger zugleich als der Versuch, „Menschen zu begeistern“. Einfacher, weil der Druck wegfällt, ausschließlich positive Emotionen zu erzeugen. Schwieriger, weil Kommunikation und Dialog eine andere Tiefe bekommen.

Mögliche Ungereimtheiten im Projekt kommen zum Vorschein. Negative Reaktionen können nicht pauschal als „mangelnde Begeisterung“ abgetan werden. Sie können sich auf konkrete Aspekte des Vorhabens beziehen. Dem müssen sich die Initiatoren der Veränderung stellen. Das ist anstrengend.

Aber es lohnt sich. Nur so setzen sich die Beteiligten damit auseinander, welche Risiken mit der Veränderung verbunden sind. Welche Hürden überwunden werden müssen. Welchen Preis die Veränderung hat. Findet diese Auseinandersetzung nicht statt, ist die Enttäuschung groß, sobald die ersten Hindernisse auftauchen. Dann schwindet schnell der Mut und es kommen Zweifel auf, ob die Veränderung wirklich so uneingeschränkt positiv ist, wie von den Initiatorinnen behauptet.

Begeisterung ist einseitig und manchmal hinderlich

Denn ein organisationales Veränderungsvorhaben ist komplex, vielschichtig und daher nie eindeutig positiv oder negativ. Weder für das einzelne Organisationsmitglied noch für die Organisation als Ganzes. Es ist unklar, ob sich die Kunden unseres Beispielunternehmens in der Pool-Lösung genauso gut betreut fühlen wie vor der Veränderung. Das Vorhaben birgt Risiken.

Reine Begeisterungsrhetorik blendet diese aus und tabuisiert sie. Die Folge: Die Stimmen, die auf die Risiken hinweisen, werden nicht gehört. Das kann zu Frustration und Widerstand bei den Betroffenen führen. Vor allem aber birgt es die Gefahr, dass nicht genügend Sorgfalt und Energie auf die Eindämmung der Risiken verwendet wird. Schließlich existieren sie ja gar nicht oder sind nicht „sprechbar“. Dann wird z.B. nicht aktiv daran gearbeitet, die Qualität der Kundenbetreuung auch in der Pool-Lösung aufrecht zu erhalten. Das CRM wird dann zwar eingeführt, aber die Kunden wandern ab. Die organisationalen Ziele der Veränderung – Wachstum durch optimierte Kundenbetreuung – werden nicht erreicht.

Nur wenn die Beteiligten offen über das Begrüßenswerte, aber auch über das Schwierige der Veränderung sprechen, finden sie Lösungen für das Schwierige. Und das Begrüßenswerte wird zu etwas Konkretem, das es lohnend erscheinen lässt, das Schwierige gemeinsam zu meistern.

Begeisterung kann entstehen, wenn sie nicht das primäre Ziel ist

Beim gemeinsamen Meistern kann schließlich so etwas wie Begeisterung entstehen. Dazu braucht es aber erste Erfolge. Wird Begeisterung zur Voraussetzung für Veränderung erklärt, entsteht ein für alle Beteiligten frustrierendes Ringen um die „richtigen“ Emotionen.

Begeisterung lässt sich nicht verordnen oder herstellen. Sie entsteht, wenn die Beteiligten einen organisationalen Sinn in der Veränderung erkennen, ihre Intelligenz einbringen können und bei der Umsetzung erleben, welche Effekte die Veränderung für sie selbst und die Organisation als Ganzes hat.

Extra-Bonus

Hier finden Sie 3 zusätzliche Fragen zu Change Management, die Anne Lamberts beantwortet (bitte auf Plus klicken):

Kann die Betonung der Rationalität in der Veränderungskommunikation dazu führen, dass wichtige emotionale Aspekte der Mitarbeiter vernachlässigt werden?

Anne Lamberts: Emotionen sind wichtig für die Umsetzung von Veränderungsvorhaben. Die Frage ist aber, welcher Umgang mit Emotionen zielführend ist. Ich plädiere zum einen dafür, nicht nur positive Emotionen hervorrufen zu wollen. Sorgen, Ängste, Wut können auch wichtige Botschaften über das Veränderungsvorhaben enthalten. Zum Beispiel, dass bestimmte Risiken noch nicht ausreichend bedacht wurden. Sie sind auch ein Zeichen dafür, dass ein Verarbeitungsprozess stattfindet. Dieser ist Voraussetzung dafür, dass die Beteiligten das Veränderungsvorhaben in ihr Verhalten integrieren. Positive wie negative Emotionen können jedoch nicht aktiv erzeugt werden. Der Versuch führt oft sogar zu Widerstand. Deshalb plädiere ich auch für eine Veränderungskommunikation, die sich auf die Sinnvermittlung konzentriert, während die Auseinandersetzung mit den vorhandenen Emotionen und ihrer Bedeutung für die Veränderung in dialogischen Formaten stattfinden sollte.

Wann ist es sinnvoll, dass Mitarbeiter nicht nur den Sinn eines Changes verstehen, sondern sich auch persönlich mit den Zielen identifizieren?

Anne Lamberts: Auch hier gilt: Persönliche Identifikation kann hilfreich sein, lässt sich aber nicht “herstellen”. Sie ist ein innerer Prozess, der bei jedem Organisationsmitglied anders abläuft. Sinn ist die Grundvoraussetzung dafür, dass dieser individuelle Prozess in Gang kommen kann. Deshalb ist es sinnvoll, sich auf diesen ersten Schritt zu konzentrieren, weil ich ihn aktiv beeinflussen kann. Stattdessen wird in vielen Veränderungsprozessen die Sinnvermittlung vernachlässigt, dafür aber viel Aufwand betrieben, um die persönliche Identifikation zu erhöhen. Das könnten sich Organisationen sparen. Wenn der Sinn da ist, kommt die Identifikation im möglichen Ausmaß von selbst.

Wieso lohnt sich Change Management ohne Begeisterungsrhetorik und woran lässt sich das festmachen?

Anne Lamberts: Es lohnt sich emotional und wirtschaftlich. Emotional, weil die Initiatoren sich nicht verantwortlich für die unmögliche Aufgabe fühlen, positive Emotionen bei ihren Mitstreiterinnen zu erzeugen. Das entlastet. Wirtschaftlich, weil unnötiger Widerstand und damit verbundener Mehraufwand im Veränderungsprojekt vermieden wird.

Hinweise:

Anne Lamberts betreibt einen eigenen Blog, in dem sie über wirksame Veränderungsprozess in Unternehmen schreibt: https://www.anne-lamberts.de/blog/. Ein Blick lohnt sich definitiv.

[1] Männliche, weibliche und neutrale Formen werden gleichbedeutend verwendet für Personen nicht-binärer, weiblicher oder männlicher Geschlechtsidentität.
[2] Customer Relationship Management-System: Strukturierte Kundendatenbank

Im Kontext von Produktentwicklungen gilt die Begeisterung von Anwendern als wesentliches Merkmal, um sich von der Konkurrenz abzuheben. Welche Merkmale welchen Einfluss auf die Kundenzufriedenheit haben, erläutert das Kano-Modell

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Anne Lamberts hat einen weiteren Beitrag im t2informatik Blog veröffentlicht:

t2informatik Blog: Muster und Methoden in Organisationen

Muster und Methoden in Organisationen

Anne Lamberts
Anne Lamberts

Anne Lamberts ist systemische Organisationsberaterin in Hanau und hilft Teams und Organisationen, Veränderungen erfolgreich umzusetzen. Zu ihren Kunden zählen Konzerne, mittelständische Unternehmen und Verwaltungen. Als Lehrberaterin der Change Akademie in Speyer vermittelt sie zudem Change-Know How, das die Besonderheiten von Organisationen als sozialen Systemen berücksichtigt und damit neue Handlungsoptionen im Change Management eröffnet.